EuGH bejaht Anspruch auf finanzielle Vergütung auch nach Eigenkündigung bei Nichtverbrauch des Jahresurlaubs

Liebe Leserin,
lieber Leser,

der Jahresurlaub steht für die meisten vor der Tür. Auch das Thema Urlaub und Krankheit bleibt arbeitsrechtlich ein echter Dauerbrenner. Dies liegt insbesondere an der Fülle von Aufsätzen im Nachgang zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs der letzten Jahre. Aufgrund einer weiteren, aktuellen, wenn auch nicht bahnbrechenden Entscheidung des EuGH zu einem aus Österreich stammenden Fall möchten wir für Sie die Rechtslage nochmals "aufdröseln":

Grundsätzlich steht Arbeitnehmern ein Urlaubsabgeltungsanspruch bei infolge von Krankheit nicht genutztem Urlaub zu. Richtungsweisend hierfür war das sogenannte "Schultz-Hoff"-Urteil des EuGH, nach welchem Arbeitnehmer bei einer mehrjährigen Erkrankung ihren Jahresurlaub auf das folgende Jahr übertragen und daher über Jahre hinweg ansammeln konnten. Der Arbeitgeber war danach verpflichtet, den Urlaub bei wiedereintretender Arbeitsfähigkeit zu gewähren oder im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten. Daraus ergab sich letztlich die Frage, ob Arbeitgeber "ohne Ende" Urlaub nachgewähren bzw. Urlaubsabgeltung zahlen müssen. Der EuGH entschied in der Folge, dass eine zeitliche Begrenzung dieses Anwachsens von Urlaubsansprüchen auf 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres mit dem Europäischen Recht zu vereinbaren sei. Dieser Vorgabe folgte auch das Bundesarbeitsgericht. 

Der EuGH hatte sich nunmehr in seinem aktuellen Urteil vom 20.07.2016 mit der Frage dieser finanziellen Abgeltung nach Kündigung des Arbeitnehmers bei Nichtverbrauch des Jahresurlaubs zu beschäftigen. 

Im entschiedenen Fall ging es um einen österreichischen Beamten (welcher als Arbeitnehmer zu qualifizieren war), der auf seinen Antrag hin mit Wirkung zum 01.07.2012 in den Ruhestand versetzt werden wollte. Der Antrag auf Versetzung in den Ruhestand steht dabei einer Kündigung durch den Arbeitnehmer gleich. In der Zeit von Mitte November 2010 bis Ende Dezember 2010 war dieser Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, was in Österreich "Krankheitsurlaub" genannt wird. Nach dem Eintritt in den Ruhestand verlangte der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub zu zahlen, da er kurz vor Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt gewesen sei. Der Arbeitgeber hatte diese Forderung mit der Begründung zurückgewiesen, dass nach der Besoldungsordnung in Wien ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeitsverhältnis beende, keinen Anspruch auf eine solche Abgeltung habe.

In seinem Urteil wies der EuGH darauf hin, dass nach der Richtlinie 2003/88/EG jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen habe und dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der EU darstelle. Er werde jeden Arbeitnehmer unabhängig von seinem Gesundheitszustand gewährt.

Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist, bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, habe der Arbeitnehmer nach der Richtlinie Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen der fehlenden Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubsanspruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird. 

Nach Auffassung des EuGH spiele der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Rolle. Daher habe der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, keine Auswirkung darauf, dass er ggf. eine finanzielle Vergütung für den Jahresurlaub beanspruchen könne, den er vor Ende des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte. Der EuGH bestätigt mit dieser Entscheidung auch die ohnehin in Deutschland bereits geltende Rechtslage. 

Praxistipp

Die durch den EuGH vorgenommene Klarstellung bezieht sich, wie auch die weiteren zuvor genannten Entscheidungen, lediglich auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Tagen bei einer Sechs-Tage-Woche. Gleiches gilt nach Auffassung des BAG auch für die Übertragung von Urlaubsansprüchen bei langer Krankheit in Bezug auf den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Es ist aber durch arbeitsvertragliche Gestaltung im Hinblick auf zusätzlich und freiwillig gewährten Urlaub möglich, von den Grundsätzen zur Übertragung des Urlaubs auch zum Nachteil des Arbeitnehmers abzuweichen. 

Da im Detail weiterhin vieles rechtlich schwierig ist, stehen wir Ihnen gerne, wie gewohnt, für Rückfragen zur Verfügung. 

Wir wünschen Ihnen eine erholsame Urlaubszeit und verbleiben

mit den besten Grüßen aus Heidelberg

Ihr Arbeitsrechtsteam
Tiefenbacher

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