Arbeitsrecht - Aktuelle Rechtsprechung rund um Kündigungen

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen angeordneter Quarantäne ist sittenwidrig - ArbG Köln, Urteil vom 15.04.2021, Az. 8 Ca 7334/20

Ein Arbeitnehmer befand sich auf telefonische Anordnung des Gesundheitsamts als Kontaktperson in häuslicher Quarantäne. Hierüber informierte der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, der einen sog. Kleinbetrieb mit weniger als 10 Beschäftigten unterhielt. Der Arbeitgeber bezweifelte die Quarantäneanordnung und vermutete, der Arbeitnehmer wolle sich lediglich vor der Arbeitsleistung “drücken“. Er verlangte einen schriftlichen Nachweis, den der Arbeitnehmer auch beim Gesundheitsamt telefonisch einforderte. In der Zwischenzeit forderte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf, zur Arbeit zu erscheinen. Als die schriftliche Bestätigung des Gesundheitsamtes auch nach mehreren Tagen noch nicht vorlag und der Arbeitnehmer sich weiterhin weigerte, zur Arbeit zu kommen, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer reichte hiergegen Kündigungsschutzklage ein.

Das Arbeitsgericht Köln hat der Klage stattgegeben. Unstreitig war das Kündigungsschutzgesetz auf das vorliegende Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, da der Arbeitgeber einen Kleinbetrieb unterhielt. Allerdings werden Arbeitnehmer auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes vor Kündigungen geschützt. Kündigungen, die sittenwidrig sind (§ 138 BGB) oder gegen den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, sind auch in einem Kleinbetrieb unwirksam. Auch dieser muss bei Kündigungsausspruch ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme beachten.

Die ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers war - aus Sicht des Arbeitsgerichts Köln - sowohl sittenwidrig als auch treuwidrig und damit unwirksam. Der Arbeitnehmer habe sich lediglich an die behördliche Quarantäneanordnung gehalten. Er habe die Anordnung befolgen müssen, auch wenn sie nur mündlich erfolgt war. Bei einem Zuwiderhandeln habe ihm gedroht, eine Straftat zu begehen. Dass die schriftliche Anordnung der Quarantäne ihn erst mit mehreren Tagen Verzögerung erreichte, sei ihm auch nicht zuzurechnen gewesen, sondern war durch die coronabedingte Auslastung der Behörde bedingt.

Die vorstehend beschriebenen Grundsätze sind nicht nur im Fall eines Kleinbetriebs, sondern allgemein auf arbeitgeberseitigen Kündigungen unter diesen Umständen (mithin mündliche Quarantäneanordnung) anwendbar.

TIPP: Bei Zweifeln an der mündlichen Quarantäneanordnung sollte der Arbeitgeber daher abwarten und keinesfalls den Arbeitnehmer zum Erscheinen am Arbeitsplatz auffordern, bis der Sachverhalt geklärt ist!

 

Neue Hürden bei Massenentlastungen – LAG Hessen, Urteil von 25.06.2021, Az. 14 Sa 1225/20

Nach diesem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen werden einige der sog. „Soll-Angaben“, die bei Massenentlassungsanzeigen bisher vom Arbeitgeber nicht verpflichtend waren, zukünftig zu „Muss-Angaben“.

Wann und unter welchen Voraussetzungen eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten ist, regelt § 17 Abs. 3 KSchG. Die sogenannten „Muss-Angaben“ umfassen gem. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG:

- den Namen des Arbeitgebers,

- den Sitz und die Art des Betriebes,

- die Gründe für die geplanten Entlassungen,

- die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

- die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

- den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und

 - die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Das Urteil des LAG Hessen hat nun eine weitere Hürde aufgestellt. Danach haben die bisherigen „Soll-Angaben“ aus § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG ebenfalls zwingend zu erfolgen:

- Staatsangehörigkeit

- Beruf

- Geschlecht und

- Alter.

Diese werden aufgrund einer Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes im Lichte der entsprechenden EU-Richtlinie nun von sog. „Soll-Angaben“ zu „Muss-Angaben“. Somit bewirke das Fehlen dieser Angaben – so das LAG Hessen – die Unwirksamkeit der ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen. Nun heißt es abwarten, wie sich das Bundesarbeitsgericht zu dieser Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes positionieren wird.

TIPP: Bis dahin empfehlen wir Ihnen dringend, auf jeden Fall sowohl die „Muss-Angaben“ als auch die „Soll-Angaben“ in die Massenentlassungsanzeige aufzunehmen.

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