Keine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung

Liebe Leserin,
lieber Leser,

in jüngerer Zeit haben Arbeitsgerichte und Gesetzgeber sog. Scheinwerkverträge bzw. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung problematisiert. Über die Rechtsfolgen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung existierte bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung.

Unter der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung versteht man, dass unter dem "Deckmantel" von selbständiger Tätigkeit - zum Beispiel in Form von Werkverträgen mit einem Auftragnehmer - tatsächlich aber Arbeitnehmer leihweise beschäftigt werden. Maßgeblich ist hierbei das tatsächlich gelebte Verhältnis und nicht die Bezeichnung des Vertrages. Wesentlicher Maßstab für die selbständige Tätigkeit ist dabei das Maß an persönlicher Abhängigkeit. Falls eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, kann der tatsächliche Arbeitgeber - also der vermeintliche Auftraggeber - erheblichen Nachzahlungsverpflichtungen gegenüber den Sozialversicherungsträgern ausgesetzt sein. Darüber hinaus würden die zahlreichen Arbeitnehmerschutzvorschriften in dem nunmehrigen zum Auftraggeber bestehenden Arbeitsverhältnis zur Anwendung kommen. Im Übrigen kann eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung auch bußgeldbewehrt sein. Das BAG hat nun in seinem Urteil vom 12.07.2016 eine erste höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Problemkreis getroffen. 

Die Klägerin war seit dem 9. Februar 2004 aufgrund des zwischen ihr und der Arbeitgeberin, einer GmbH, geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrags als CAD-Konstrukteurin angestellt. Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Automobilunternehmen, auf Weisung ihrer Arbeitgeberin seit dem Jahr 2004 bis zum 31.12.2013 im Einsatz. Grundlage für den Einsatz der Klägerin war zwischen der Arbeitgeberin und der heutigen Beklagten eine Vereinbarung die ausdrücklich als Werkvertrag bezeichnet wurde. Die Arbeitgeberin der Klägerin verfügte über eine unbefristete Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. 

Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.01.2014, weil ihre Vertragspartnerin - das Automobilunternehmen - keine Werkverträge mehr mit ihr schloss. Die Klägerin ging ungewöhnlich gegen die Kündigung vor, denn sie beantragte, dass mit dem Automobilunternehmen seit dem Jahr 2004 ein Arbeitsverhältnis besteht.

Hierbei vertrat sie die Auffassung, sie habe nicht aufgrund eines Werkvertrags, sondern aufgrund Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten gearbeitet. Die Klägerin meinte, ihre Arbeitgeberin und die Beklagte hätten nur Scheinwerkverträge geschlossen, um die eigentliche Arbeitnehmerüberlassung zu verdecken. Die Beklagte könne sich deshalb nicht auf die erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung berufen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin vor allem festgestellt haben sollte, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht. Letztlich hatte die Klägerin auch mit der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Das BAG entschied, dass zwischen den Beklagten und der Klägerin auch dann kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, wenn die Klägerin auf der Grundlage eines sogenannten Scheinwerkvertrages als Leiharbeitnehmerin der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden wäre. Maßgeblich ist, dass die Arbeitgeberin der Klägerin die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung hatte. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingiert i. V. m. § 9 Nr. 1 AÜG das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers, hier also der Arbeitgeberin. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung fehlt es an einem vom Gesetzgeber nicht geregeltem Sachverhalt.

Ganz im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat für eine solche verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher, hier der Beklagten, herbeiführen wollen.

Praxistipp

Das BAG trifft eine neue Entscheidung in altem Gewande. Die in der Praxis häufig vorkommende Gestaltung, wonach zwar ein Werkvertrag abgeschlossen, gleichwohl jedoch vorsorglich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als eine Art "Fallschirm" eingeholt wurde, kann zur Vermeidung unliebsamer zivil-, ordnungs-, sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Folgen nach dieser Rechtsprechung des BAG daher noch greifen.

Dies wird sich jedoch bald ändern. Der Gesetzgeber plant derzeit eine umfassende Änderung des AÜG. Das Bundeskabinett hat hierzu am 1. Juni 2016 den Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Missbrauchs bei Leiharbeit und Werkverträgen beschlossen. Nach Änderung des AÜG ist die Überlassung von Arbeitnehmern in einem Leiharbeitnehmervertrag klar und ausdrücklich auch als eine Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen. Zudem hat eine Konkretisierung der Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu erfolgen. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist kann zukünftig die Folge, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer entsteht. Die Novellierung des AÜG soll zum 1.1.2017 in Kraft treten.

Eine weitere wichtige Neuerung zum 1.1.2017:

Das Bundeskabinett hat am 26.10.2016 beschlossen, dass der Mindestlohn auf 8,84 EUR brutto je Zeitstunde angehoben wird.  

Es bleibt daher auch 2017 weiter spannend und wir werden Sie fortlaufend informieren.

Mit besten Grüßen aus Heidelberg

Ihr Arbeitsrechtsteam
Tiefenbacher

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