Nun muss also wieder der Europäische Gerichtshof entscheiden: Das Bundesarbeitsgericht fragt ihn zum grundsätzlichen Verfall von nicht genommenem Urlaub bei Langzeiterkrankten an

Passend zur Urlaubszeit, möchten wir Ihnen heute wieder ein brandheißes Thema aus dem Bereich „Urlaubsrecht“ präsentieren:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bittet den EuGH um Klärung in zwei Verfahren, die sich mit der Frage beschäftigen, ob ein Arbeitgeber verpflichtet ist, seinen Arbeitnehmer (m/w/d), ungeachtet seiner vorhandenen Langzeiterkrankung, während des ganzen Kalenderjahres jedes Urlaubsjahr wieder auf den Verfall seines nicht genommenen Urlaubs ausdrücklich hinzuweisen; die gleiche Frage stellt sich auch bei Eintritt einer vollen Erwerbsminderung. Das BAG hat diese zwei Fragen nunmehr dem EuGH - jeweils im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens - vorgelegt.

Ausgangsfall Nr. 1 (BAG, Urteil vom 07. Juli 2020, Az.: 9 AZR 401/19)

Die Arbeitnehmerin, die den Rechtsstreit ins Rollen brachte, erkrankte im Jahr 2017 und ist seitdem durchgehend arbeitsunfähig, daher konnte sie von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 14 Tage nicht nutzen. Die Arbeitgeberin hatte die Klägerin weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraumes verfallen kann. Mit der Klage begehrt die Arbeitnehmerin festzustellen, dass ihr die restlichen 14 Urlaubstage aus dem Kalenderjahr 2017 weiterhin zustehen. Dies wies die Arbeitgeberin zurück, unter Hinweis auf den Verfall nicht genommenen Urlaubs, spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, mithin am 31.03.2019.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage der Arbeitnehmerin ab und schlossen sich der Rechtsauffassung des Arbeitgebers im Hinblick auf den Automatismus an.

Ausgangsfall Nr. 2 (BAG, Urteil vom 07. Juli 2020, Az.: 9 AZR 245/19)

Ein als schwerbehinderter Mensch anerkannter Arbeitnehmer bezieht seit 01.12.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung; diese wurde zuletzt bis August 2019 verlängert. Die Arbeitgeberin vertritt die Auffassung, der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub sei mit Ablauf des 31.03.2016 erloschen. Sei ein Arbeitnehmer aufgrund der vollen Erwerbsminderung und eines daraus resultierenden Rentenbezuges langandauernd außerstande seinen Urlaub anzutreten, trete der Verfall 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres völlig unabhängig von der Erfüllung etwaiger Mitwirkungsobliegenheiten der Arbeitgeberin.

Die Vorinstanzen wiesen auch diese Klage ab.

Rechtlicher Hintergrund:

Im Jahr 2012 entschied das BAG, dass der in Krankheitsfällen „angesparte“ Urlaub allgemein, d.h. auch ohne eine besondere (tarif-)vertragliche Regelung, 15 Monate nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verfällt, d.h. zum 31. März des übernächsten Kalenderjahres. 2019 entschied das BAG, auf Grundlage der bereits bestehenden Rechtsprechung des EuGH, dass der einem Arbeitnehmer zustehende Urlaub nicht allein deshalb verfallen darf, weil er diesen nicht beantragt hat. Vielmehr muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zuvor ermöglicht haben, seinen Urlaub rechtzeitig zu nehmen und ihn ausdrücklich auf den drohenden Verlust nicht genommener Urlaubstage rechtzeitig hingewiesen haben! (sog. Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers).

Der Arbeitnehmer muss also nach ausdrücklichem Hinweis den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen haben, obwohl er die Gelegenheit hierzu hatte.

Bisherige Ansicht der Landesarbeitsgerichte:

Eine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers im Falle von Langzeiterkrankten verfehle seinen Zweck. Sinn und Zweck sei, dass die Arbeitnehmer (m/w/d) auf den Verfall nicht genommener Urlaubstage hingewiesen werden, um ihnen zu ermöglichen den ihnen zustehenden Urlaub tatsächlich zu nehmen. Ist ein Arbeitnehmer aber aus gesundheitlichen Gründen ohnehin außerstande, seinen Urlaub anzutreten, sei ein solcher Hinweis obsolet und somit für die Ingangsetzung der 15-Monatsfrist von keinerlei Bedeutung. Der Urlaub verfalle also automatisch 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres. Gleiche Grundsätze gelten hiernach bei dem Bezug voller Erwerbsminderungsrente.

Ausblick und Praxistipp:

Trotz der bereits angeführten überzeugenden Argumente der Landesarbeitsgerichte, ist es vorstellbar, dass der EuGH diese Fragen wieder zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer (m/w/d) entscheidet. Für diese Annahme sprechen vor allem die bisherige besonders arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung des EuGH in Sachen Urlaubsrecht sowie der Umstand, dass die bestehende deutsche Rechtsprechung zum Urlaubsverfall ebenfalls vollständig auf den EuGH-Vorgaben beruht, wonach dem Recht auf den gesetzlichen Mindesturlaub ein herausragender Stellenwert beigemessen wird. Dies spiegelt sich auch in der „neuen“ Mitwirkungsobliegenheit der Arbeitgeber wieder. Vor diesem Hintergrund kann es für viele Arbeitgeber aktuell bereits sehr sinnvoll sein, zu überprüfen, ob die Mitwirkungsobliegenheiten in den Vorjahren im Sinne der Rechtsprechung überhaupt erfüllt sind oder jetzt zumindest schnellstmöglich erfüllt werden.

Gerne beraten wir Sie hierzu sowie auch zu allen weiteren Fragen rund um den Urlaub aktuell natürlich auch im Kontext zur Corona Pandemie!

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